„Wer heilt hat Recht!“ Mit dieser Aussage wird nur allzu gerne eine Diskussion um die Wirksamkeit von therapeutischen Interventionen beendet. Denn schließlich geht es doch genau darum: Die durchgeführte Therapie hilft, weil es dem Patienten am Ende besser geht. Er wurde also vermeintlich geheilt. Und mit diesem Erfolg verbietet sich auch jede Kritik an der durchgeführten Therapie, denn sie war allem Anschein nach das richtige Mittel, um den Beschwerden des Patienten beizukommen. Am Ende stehen ein glücklicher Patient mit weniger Beschwerden und ein zufriedener Therapeut, der einen guten Job gemacht hat.
Doch hier erlaube ich mir, nicht ganz ohne Hintergedanken, zwei Fragen zu stellen: Kann sich der Therapeut sicher sein, dass er dem Patienten auch wirklich geholfen hat? Und wenn es dem Patienten tatsächlich besser geht, war allein die durchgeführte Therapie dafür verantwortlich? Wer diese Fragen mit einem „ja“ beantwortet, dem möchte ich anbieten, erst die folgende Artikelserie zu lesen, bevor ich diese Frage noch einmal stelle. Zunächst soll es zum Einstieg um den Placebo-Effekt gehen. Dieser wird vielen bereits ein Begriff sein. Weiter geht’s mit der Regression zur Mitte, welche eher aus der Statistik bekannt sein dürfte und dem natürlichen Verlauf (Natural History), um die Artikelreihe dann mit dem Thema der Verzerrung der eigenen Wahrnehmung, das sogenannte Bias, abzuschließen. Wenn ihr euch nun fragt, wieso solche Dinge direkten Einfluss auf eure Therapie haben sollen, seid gespannt.
Beginnen wir mit einem ziemlich bekannten Effekt, der seinen Einfluss in vielen Bereichen der Medizin und Therapie geltend macht: dem Placebo-Effekt. Klassisch wird ein Placebo als Scheinmedikament bezeichnet, dass keinen Wirkstoff enthält, aber äußerlich nicht von einem echten Arzneimittel zu unterscheiden ist. Wenn dieses Scheinmedikament doch einen Effekt beim Patienten erzielt, wird vom Placebo-Effekt gesprochen (Link).

Das Schaubild, welches auf einer Studie von Braithwaite und Cooper aus dem Jahr 1981 beruht (Link) und das ich mir aus einer Präsentation von Pat Preilowski (Link) ausgeborgt habe, macht diesen Effekt sehr schön deutlich. In fünf Schritten wurde herausgearbeitet, welcher genaue Effekt der Gabe des Schmerzmittels (Aspirin) bei der Reduktion von Kopfschmerzen zuzuschreiben war, welcher als spezifischer Therapieeffekt (im Schaubild rot dargestellt) bezeichnet wird.
In dieser Studie wurden zusätzlich aber auch drei andere Gründe für die Schmerzlinderung aufgezeigt. Zum einen der Effekt der „Natural History“ (gelb), der selbst dann eintritt, wenn absolut nichts unternommen wird und in einem späteren Artikel genauer unter die Lupe genommen wird. Kurz zusammengefasst: Viele Probleme werden von alleine besser, wenn man ihnen dazu nur ein wenig Zeit gibt, damit u.a. das Immunsystem und andere körpereigene Selbstheilungssysteme ihren Job machen können (Link).
Bei der zweiten Säule wurde nun tatsächlich eine Tablette verabreicht, allerdings ohne das sie einen Wirkstoff enthalten hat. Hier addiert sich zur „Natural History“ der klassische Placebo-Effekt (grün), bei dem nur die Einnahme einer Tablette einen Effekt auf die Kopfschmerzen erzielt.
Steigern ließ sich die Wirkung der Placebogabe durch ein Branding der Tablette. So wurde die Tablette als Aspirin gekennzeichnet, enthielt aber erneut keinen Wirkstoff. Hier wird vom „Brand-Effekt“ gesprochen (blau).
Bei dem Einnehmen einer Tablette, die nun tatsächlich den Wirkstoff enthält, verschwinden die vorher erzielten Effekte nicht einfach. Vielmehr wird der spezifische Effekt des Wirkstoffes (rot) durch das Branding der Tablette, die simple Einnahme und die „Natural History“ verstärkt.
So schön diese Verstärkung der Wirkung für Patient*innen auch ist, macht das Schaubild auch deutlich, dass der spezifische Therapieeffekt nicht alleine für den Behandlungserfolg verantwortlich war. Es ist eher so, dass es unspezifische Mechanismen gibt, die eine Wirkung entfalten, zu der dann der spezifische Therapieeffekt hinzu kommt.
Dies gilt sogar bei operativen Eingriffen (Link) und wird auch von den ausführenden Operateuren anerkannt (Link). Also sollte in der Physiotherapie auch ein Bewusstsein dafür entwickelt werden, dass wir zwar hoffen dürfen, für unsere Patient/inn/en den Unterschied mit unserer Therapie auszumachen, aber gleichzeitig noch ganz viele andere Dinge Einfluss auf die Ergebnisse haben, die wir in unseren Behandlungen erzielen.
Weiter geht es mit einem kleinen Exkurs zum Thema Studien, bevor wir die Regression zur Mitte genauer betrachten.